Im RuheForst eins mit der Natur werden

11. Februar 2019 – 

Ein Eichhörnchen flitzt den Stamm eines Baumes empor. Der Wind rauscht leise in den Wipfeln. Irgendwo in der Nähe hämmert ein Specht. Wenn die Schilder nicht wären, die über den RuheForst Kirchlinteln und seine Bedeutung aufklären, würde man auf den ersten Blick nicht vermuten, dass man einen Friedhof betritt. Seit 2014 finden Menschen zu den Wurzeln der Bäume an diesem Ort ihre letzte Ruhestätte. Hauptsächlich prägen Buchen und Eichen, aber auch Linden, Bergahorn, Waldkirsche, Eibe und einige Nadelhölzer das Bild des Mischwaldes.

Annekatrin Mensching ist Initiatorin des RuheForstes Kirchlinteln. Regelmäßig bietet sie mit ihren Kollegen im Auftrag der Landwirtschaftskammer Niedersachsen Führungen durch den RuheForst an, berät Interessierte rund um die Waldbestattung und begleitet die Beisetzungen. Der Wald gehört dem Realverband Bauernholz zu Kirchlinteln, während der Friedhof sich in der Trägerschaft der Gemeinde befindet. „Bis ins 19. Jahrhundert hinein wurden hier noch die Schafe in die Frechen getrieben“, erzählt die gelernte Diplom-Biologin während eines Spaziergangs durch den Wald. Danach diente er der Holzgewinnung. Seit Jahrzehnten wird der Wald naturnah bewirtschaftet. „Das bedeutet: Es gibt hier keine Kahlschläge, keine schweren Maschinen, keine Chemie“, erklärt Annekatrin Mensching. „Die jungen Bäume wachsen unter dem Schirm der alten Bäume nach. Das Totholz wird als Unterschlupf und Brutstätte für die Waldtiere stehen gelassen. Sind doch einmal Pflegemaßnahmen unumgänglich, rückt der Baumkletterer an.“ Auf diese Weise werde nicht nur dem Naturschutz, sondern auch der Ruhe und Würde des Ortes Rechnung getragen. Ein rund zehn Hektar großes Areal ist als Friedhof gewidmet, auf dem etwa 260 Ruhebiotope angelegt sind. Diese Flächen können von einzelnen Personen, Familien oder anderen sich nahestehenden Menschen als letzte Ruhestätte für die verlässliche Dauer von 99 Jahren erworben werden. Rechtlich abgesichert wird dies durch die Eintragung ins Biotopregister. Die spätere Beisetzung erfolgt in biologisch abbaubaren Urnen im gewählten RuheBiotop, dessen Mittelpunkt ein Baum, Wurzelstumpf, Feldstein oder Erdhügel bilden kann. Jedes Biotop bietet Platz für bis zu zwölf Urnen, die kreisförmig angeordnet werden, wie auf dem Ziffernblatt einer Uhr. Um zu den einzelnen RuheBiotopen zu gelangen muss man den Weg verlassen, der sich an einigen Holzbänken vorbei durch den Wald schlängelt. „Das ist so gewollt“, sagt Annekatrin Mensching. Sie geht über den mit Laub bedeckten Waldboden zu einer prächtig gewachsenen Buche. An der Rinde des Baumes hängt eine runde Plakette mit einem gelben Ring. „Gelb kennzeichnet ein GemeinschaftsBiotop“, erklärt die Waldbestattungsbeauftragte. „Bei einem GemeinschaftsBiotop können einzelne oder mehrere Grabstätten erworben werden. Bei einem FamilienBiotop, das mit einem blauen Ring markiert wird, erwirbt man alle zwölf Grabstätten zusammen und kann das komplette Biotop für seine Familie nutzen.“ Der Preis einer Grabstätte richtet sich nach Art des Biotopes und der Größe des Naturelements. An Bäumen, zu deren Wurzeln bereits Urnen liegen, sind schlichte, schwarze, gravierte Namenstafeln angebracht. Grabschmuck gibt es nicht. Die Pflege des Grabes übernimmt die Natur. Aufgrund der langen vertraglichen Laufzeit und der besonderen Atmosphäre des Waldes, erwerben häufig auch jüngere Menschen eine Grabstätte im RuheForst, hat Annekatrin Mensching beobachtet. „Für viele Menschen ist es ein tröstlicher Gedanke, dass die Asche des Verstorbenen nach ein paar Jahren durch die Wurzeln in den lebendigen Stoffkreislauf des Baumes eingeht.“ Oft spiegeln die Bäume die Besonderheiten des geliebten Menschen wider. Eine Witwe wählte beispielsweise einen knorrigen Baum für ihren Mann, der das Arbeiten mit Holz liebte. Eine andere Frau war glücklich, als sie im Wald einen mit Moos bewachsenen Baumstumpf fand. Genau das hätte ihr Mann sich gewünscht. „Das Naturelement kann so zum Bezugspunkt für den Menschen werden, sowohl im Leben, im Rahmen der Vorsorge, als auch im Tod.“ Der Wald habe als Naturraum eine besondere Bedeutung. Wie verändert sich der Baum im Laufe der Jahreszeiten? Wie entwickelt er sich mit den Jahren? Wie funktioniert der Kreislauf von Leben und Sterben? Das können Familien beobachten, wenn sie diesen Ort gemeinsam besuchen. „Der Tod wird dadurch ein Stück weit enttabuisiert und ist nicht mehr so Angst besetzt“, findet Annekatrin Mensching. Vor einem Baum mit einer besonderen Plakette bleibt sie stehen: „Das ist das RegenbogenBiotop. Es wurde für Eltern angelegt, die den Tod eines ungeborenen Kindes verkraften müssen.“ Grundsätzlich gebe es für Regenbogenkinder keine Bestattungspflicht. Doch Eltern sollten wissen, dass eine würdevolle Bestattung möglich ist und im RuheForst kostenlos angeboten wird. Bislang wurde davon noch nicht Gebrauch gemacht. Im Herzen des Waldes liegt die Andachtsstelle mit einem großen Holzkreuz, einem Platz für die Urne und im Halbkreis davor angeordneten Bänken. Hier kann die Beisetzung ganz nach den Vorstellungen der Verstorbenen und Angehörigen ausgerichtet werden. Dazu ist eine enge Absprache zwischen den Mitarbeitern des RuheForstes, dem Bestatter und den Angehörigen notwendig. Die Stelle, an der die Urne etwa 80 Zentimeter tief in die Erde eingelassen wird, ist mit Waldgrün und anderen Naturmaterialien geschmückt. Dekorationen wie Blumenschmuck und Bilder sind möglich, müssen jedoch nach der Zeremonie wieder mitgenommen werden, um den natürlichen Zustand des Waldbodens wiederherzustellen. „Grundsätzlich haben die Angehörigen einen großen Gestaltungsspielraum“, sagt Annekatrin Mensching. „Akustisch und atmosphärisch funktioniert hier fast alles, was auch in einer Kapelle möglich wäre.“ Um bei jeder Witterung zur Grabstätte des geliebten Menschen finden zu können, gibt es eine Karte am Eingang des RuheForstes, die alle RuheBiotope mit der zugehörigen Nummer verzeichnet. Zusätzlich gibt es eine Suchfunktion über die Internetseite „RuheVis“ und für das Smartphone die RuheForst-App. Diese verortet den Nutzer per GPS und führt ihn direkt zum Zielort. Auch eine Filterung nach Baumart ist möglich, um beispielsweise bei einem Besuch im RuheForst seinen künftigen Wunschbaum leichter aussuchen zu können. Die App wird auch von Annekatrin Mensching viel genutzt: „Der Wald verändert sich und sieht immer wieder anders aus. Da hilft so eine App sehr gut bei der Orientierung.“ Wer sich detailliert über die Waldbestattung im RuheForst Kirchlinteln informieren möchte, findet auf der Internetseite www.ruheforst-kirchlinteln.de ein umfangreiches Angebot und kann einen virtuellen Rundgang machen. Regelmäßig finden darüber hinaus kostenlose öffentliche Führungen statt. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich. Treffpunkt ist der Parkplatz am RuheForst (Kreepener Straße). Alle aktuellen Termine sind ebenfalls auf der Homepage unter dem Menüpunkt „Führungen“ zu finden.

Von Daniela Krause